229 – Über das Nicht-Können

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 229. Teilabriss

Über das Nicht-Können

als Fragment zu:

Das dem Markt sich verweigernde Werk

Menschen vermarkten das, was sie können. Das ist legitim und – denken wir etwa an das Handwerk – auch sinnvoll. Rufe ich etwa einen Heizungsmechaniker zu mir, möchte ich nicht, dass jemand kommt, der erklärt, er habe das noch nie gemacht, sehe es aber als eine persönliche Herausforderung an, in seinem Leben auch einmal eine Heizung zu reparieren, und der sich umzuschauen beginnt, welches Werkzeug er wohl dazu benötigen könnte.

Genau so verhalte ich mich aber, was mein Schreiben, Sprachenlernen, Unterrichten usw. betrifft. Was ich kann, langweilt mich. Mich reizt das, was ich nicht kann. Ich dilettiere gern. Ebenso wie mich das am meisten interessiert, was ich nicht besitze. Überhaupt scheine ich mich mehr über das Nicht als über das Etwas zu definieren. Freilich ließe sich Etwas besser verkaufen als Nichts. So ist es folgerichtig und ganz im Einklang mit der mir sympathischen Ökonomie der Verausgabung, dass ich nichts verkaufe.

Beim Schreiben aber will ich nur das Nötigste. Mich verausgabend am Nötigsten arbeiten. „Das Nötigste“ mag paradox klingen für jemanden, der die Notwendigkeit der Menschheit und ihres Planeten im kosmischen Maßstab relativiert. Doch da beginnt die Frage interessant zu werden. Warum muss jemand schreiben, malen, komponieren oder sonst etwas schaffen, der von der Wichtigkeit seines Tuns nicht überzeugt ist? Warum kann er es nicht lassen?

Ich mag keine Literatur, bei der ein Autor die Lösung der Rätsel in seinem Werk kennt und mit den Lesenden sein Spiel treibt. Schreiben heißt für mich, auf der gleichen Basis wie die Lesenden den Geheimnissen nachzuspüren. Das aber stellt die Professionalität eines Autors in Frage. Warum jemanden für etwas ehren, warum jemanden bezahlen, der zugibt, über die in Frage stehenden Themen nicht kompetent Auskunft geben zu können? Zumal ein Großer es bereits vor mir vorbildlich geschafft hat, mit Nichts Karriere zu machen. Samuel Beckett, der Literatur-Nobelpreisträger, hat von seinen frühen Briefen bis ins Spätwerk in verschiedenen Varianten über sich gesagt, er könne nicht schreiben, hat an der optimalen Formulierung dieser Aussagen freilich als Besessener gearbeitet. Das war kein Fishing for compliments – Aber nicht doch, Sam, du kannst wunderbar schreiben. Versuch’s noch einmal! – er hatte Recht. Mit der Rezension seiner Briefe 1929–1940 beschäftigt, werde ich in einer großen Buchhandlung auf die Frage, wo die Romane Samuel Becketts stehen, zum Regal mit Simon Beckett geführt und glaube bereits im Umfang von dessen Werken eine Bestätigung meiner Vermutung sehen zu dürfen, dass nach Samuel Beckett längst nicht jeder Autor die Möglichkeit des Schreibens von Romanen derart gründlich zunichte gedacht hat. Nicht mehr schreiben zu können mag in einer ökonomisch furchtsamen Welt nicht dem Zeitgeschmack entsprechen. Moden ändern sich.

[Auxerre, 22. August 2013]