230 – Einleitung oder Schlussbemerkung zu einer öffentlichen Lesung

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 230. Teilabriss

Einleitung oder Schlussbemerkung zu einer

öffentlichen Lesung

Ein Vorleseabend kommt mir immer ein bisschen so vor, als wolle man zum Beispiel ein Kapitel aus der Bibel herausgreifen, etwa die Heilung des Aussätzigen oder – Altes Testament – Lot und seine Töchter oder eine andere Stelle, die sicherlich einen gewissen Unterhaltungswert für einen gelungenen Abend hätte, besonders, wenn sich daran ein kontrovers interpretierendes Gespräch anschließt, ohne aber dabei zu berücksichtigen, dass die auch für sich wirkenden Geschichten in einem größeren Kontext eingebettet sind, der Bibel, die, wenn auch in einigen Varianten, zur Basis einer der großen Weltreligionen erhoben wurde.

Nun, der „Firwitz“ eignet sich ganz sicher nicht zur Begründung einer von vielen Menschen mitgetragenen Religion, und der Charakter seines Autors bildet eine äußerst geringe Schnittmenge mit dem, was einen Missionar oder gar einen Propheten bewegen mag. Dennoch bedeutet der „Firwitz“ für seinen Autor ein ziemlich umfassendes System, und das Vorlesen eines einzelnen Teilabrisses oder vielleicht nur eines Teils eines längeren Teilabrisses oder meinetwegen auch die Summe mehrerer sehr kurzer Teilabrisse muss so unbefriedigend bleiben, als würde man lediglich die Episode von Jesus und der Ehebrecherin lesen, ohne sich die Bedeutung im Kontext des Christentums klarzumachen.

Auf mich selbst bezogen – aber wirklich nur auf mich selbst – ist mein Denken totalitär. Die bisherigen achtundfünfzig Jahre liegen ausgebreitet vor mir und weitere sind vorstellbar. Fiele mir Vergessenes nachträglich ein oder Vernachlässigtes nachträglich auf, ließe es sich höchstwahrscheinlich nachträglich einbauen.

Alles zusammen wäre jedoch in einer einzelnen Leseveranstaltung, nicht einmal in einer langen Wolfgang-Cziesla-Nacht, zu vermitteln. Für mehrere Veranstaltungen aber wäre nicht das immergleiche Publikum zu gewinnen, denn wen interessiert schon, was ich mache und früher gemacht habe und noch plane? Und eine kontinuierliche Weitergabe wäre auch nicht in meinem Sinne, denn wenn ich lese, kann ich nicht gleichzeitig schreiben. Also muss das Vorstellen meines Werks durch eine Lesung scheitern, müsste Fragment bleiben, und zwar ein sehr kleines Fragment aus einem großen, in seinem Anspruch anfangs- und endlosen Werk. Das Vorlesen ist nur zu retten durch meine affirmative Identifikation als ein Scheiternder. Ich würde mich schlecht fühlen, verliefe ein solcher Abend nicht unbefriedigend.

 

[28.07.2013]

 


 

Montag, 29. Juli 2012

Auf dem Weg zur Arbeit

 

Wenn ich zufrieden bin, werde ich misstrauisch und frage mich, habe ich meine Ansprüche zu niedrig gesetzt, war die Aufgabe zu leicht, das Ergebnis zu einfach zu erlangen? Dann bin ich unzufrieden mit mir, glaube aber wieder auf dem richtigen Weg zu sein, indem ich mehr, vielleicht sogar das Unmögliche will. Ich bin erst zufrieden, wenn ich unzufrieden bin