013 – Literatur und Beamtentum, biographische Notiz

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 13. Teilabriss

LITERATUR UND BEAMTENTUM

Bei der Überarbeitung meines Afrikaromans von 1980

Der Text ist als Text insgesamt verdorben. Nicht das, was erzählt wird – das wäre zu retten. Aber die Sätze. Jeder einzelne Satz. Da wird nichts erzählt, nichts erlebt. Es ist alles im gleichen Berichtton. Der entsprach meiner damaligen Grundhaltung zum Leben, einer Grundhaltung, der ich weitgehend noch immer anhänge.

Die prägenden Jahre zwischen fünfzehn und zwanzig arbeitete ich bei der Stadtverwaltung. Das Leben galt es zu verwalten. Solange es zwischen zwei Akten- oder Buchdeckel passte, war es in Ordnung. Das verwaltete Wissen, verwaltete Leben, die Bibliothek als Friedhof der Geschichten, muss ja kein unliterarisches Motiv sein. Es schließt Phan­­tas­­tik – man denke an Borges oder Kafka – nicht aus.

Wie kommt ein Fünfzehnjähriger, der sich nicht als konservativ bezeichnet hätte – zumindest nicht als wertekonservativ – dazu, sich nicht primär fürs Leben, sondern für dessen Verwaltung zu entscheiden? Der gutgemeint, auf Sicherheit bedachte Rat der Eltern war nicht bestimmend. Er traf auf eine Einstellung bei mir, die, wenn auch unter gegensätzlichen Voraussetzungen, zum gleichen Ergebnis führte. Klar war, dass ich nicht dem Kapitalismus dienen wollte. Geld der Gesellschaft für die Allgemeinheit auszugeben, lag im Zeitgeist. Der Bund der Steuerzahler hatte nichts zu melden. Möglichst viel Staatsknete sinnvoll an die Sozialschwachen zu verteilen, hatte den Effekt, graduell auf den Sozialismus hinzuarbeiten und das System – Wirtschaft und Staat gleichermaßen – durch Verausgabung zu schwächen. Hinzu kam das Schlagwort der großen Verweigerung. Beamte galten als faul (gelten sie immer noch, aber die Bewertung hat sich geändert). Man war innerhalb der Versorgungsgesellschaft ein Aussteiger aus der Leistungsgesellschaft. Aber das war längst nicht alles.

Ich dachte damals bereits als Künstler, auch wenn die Werke noch weit davon entfernt waren, das mir selbst gegebene Versprechen einzulösen (– sind sie immer noch). Die Literatur bewegte sich 1970 (als ich bei der Stadtverwaltung begann) im Kielwasser des Existenzialismus. Der war ebenfalls prägend fürs Leben. Mir war damals bereits deutlich, dass es die Archive sind – die Sinnbilder des Abgestorbenseins –, in denen allein das Überleben möglich sein würde. So denke ich noch immer und schreibe nicht für den Markt und nicht für die eitle Kritikerkaste und nicht fürs Publikum. Meinen Lebenszweck finde ich im eigenen Lexikonartikel, in den Bibliotheken, im Eingang meines Nachlasses ins Literaturarchiv und in der Transformation des Fleisches, der Erlebnisse, der Gedanken in beschriebenes, beschriftetes Papier oder auch im Speicher der Festplatten der Welt.

Aber: Die Aufnahme in die Bibliotheken ist wahrscheinlicher, wenn ich mein Leben und das meiner Nächsten nicht berichtend verwalte, sonder lebendig erzähle. Darum ist die Überarbeitung nötig, und das soll den Afrikaroman von 2007 von dem aus dem Jahr 1980 unterscheiden.

(Essen, 02.03.2006)