149 – Dringende Bitte, nicht wiedergeboren zu werden

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 149. Teilabriss [wenn überhaupt]

DRINGENDE BITTE, NIEMALS WIEDERGEBOREN ZU WERDEN

Ich werde bald sterben. Könnte der Glaube an Wiedergeburt mich trösten? Nein. Ich bemitleide mich hin und wieder; wer mich etwas näher kennt, kann das bezeugen, und mein Selbstmitleid ist ja auch nicht unbegründet. Aber mehr als mich bemitleide ich ungefähr neunundneunzig Komma neun Prozent aller Lebewesen auf diesem Planeten, quer durch alle Arten und Gattungen. Die Aussichten, es nach meiner Wiedergeburt besser zu erwischen als im Moment, sind äußerst gering. Mir fällt niemand ein, dessen Leben ich lieber leben möchte als das meine.

Zweifellos verehre ich Ameisen. Ich bewundere ihre Leistungen; auch ich würde gern senkrecht eine hundert Meter hohe Wand hochlaufen und dabei einen Baumstamm schleppen können, der zehnmal so lang ist wie ich. Aber die Eintönigkeit, das ein Leben lang zu tun, schränkt mein Wunschdenken ein.

Früher habe ich Wölfe auf romantische Art verklärt. Als Achtzehnjähriger wollte ich ein Wolf sein. Aber falls sich auf sibirischem Dauerfrostboden ein Wolf unter Hypnose daran erinnert, in einem früheren Leben einmal in einer Wohnung mit Fußbodenheizung gelebt zu haben, mit einem Supermarkt im Erdgeschoss desselben Hauses, würde er sich nicht zurücksehnen nach dem, was ich jetzt habe?

Unter den Menschen gibt es einen, dessen Bücher ich gern geschrieben hätte. Doch würde ich auch sein Familienleben teilen wollen auf dem platten Land? Von meinen Jugendfreundinnen und –freunden sind einige erheblich erfolgreicher als ich. Da gibt es drei oder vier, von denen ich sagen würde, sie haben alles richtig gemacht, die Provinz verlassen, hinein in die Metropolen, haben Kinder gezeugt oder geboren, leiten ein Unternehmen mit neunundneunzig Mitarbeitern, organisieren Festivals oder geben eine renommierte Literaturzeitschrift heraus. Und dann sagen sie mir bei einem unserer seltenen Abendessen, sie beneideten mich, mich Versager, um meine vielen Jahre im Ausland, um meine Freiheit, meine Ungebundenheit, und mir kommen Zweifel, ob ich gern mit ihnen tauschen würde.

Nein, ich möchte nach meinem Tod nicht als ein anderes Wesen wiedergeboren werden. Das schlimmste Vorstellbare: Als Neugeborenes meine Eltern mich mit dem Namen meiner jetzigen Kollegin rufen zu hören, die mir von allen am unsympathischsten ist. Ich glaube, ich würde noch in der Wiege versuchen, mich zu Tode zu schaukeln.

                                   [Notizbuch vom 12.09.2014]