052 – Das sich vergewissernde und das verunsichernde Denken

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 52 . Teilabriss

Das sich vergewissernde und das verunsichernde Denken

In der Schreibwerkstatt um den Literaturprofessor und ehemaligen Rowohlt-Cheflektor Jürgen Manthey, an der ich als Student teilnahm, traf ich mehrfach eine Kommilitonin, die später als Roman- und Hörfunkautorin einigermaßen bekannt wurde (ihr Name soll hier nicht genannt sein). Bei der Besprechung einer ihrer Texte äußerte sie sich sinngemäß, sie schreibe, um ihre Gedanken zu ordnen und das Chaos zu strukturieren, auch, um in ihr aufregendes Leben etwas Ruhe zu bringen.

So plausibel ihre Aussage erscheinen mochte, erstaunte sie mich doch, weil mir, was mein Schreiben betraf, die gegenteilige Erklärung näher lag: Ich schreibe, um mein langweiliges Leben etwas aufregender zu gestalten. Denken war für mich weniger ein Akt der Selbstvergewisserung – eine solche benötigte ich nicht –, als der radikalen Infragestellung. Denken war ein Kaputtdenken, Schreiben ein Aufbruch ins Ungewisse, ein Mittel, der dumpfen Selbstverständlichkeit des Alltags zu entkommen. Ein Fluchthelfer. Ich fühlte mich gern fremd.

So war auch die Kunst und Literatur, zu der ich mich am meisten hingezogen fühlte, eine verunsichernde, wie Dada und Surrealismus. Épater le bourgeois. – „Wolfgang Cziesla, Verunsicherungen“ stand in meiner Jugend zeitweise im Kopf meines Briefpapiers (da im Briefkopf meines Vaters „Eberhard Cziesla, Versicherungen“ stand).

Den selbstherrlichen subjektiven Idealismus meiner Jugend (die Welt war, was ich wollte, dass sie sei) musste ich nicht einmal aufgeben, als ich später die pyrrhonische Skepsis für mich entdeckte. Ohne in meinem Selbstverständnis erschüttert zu sein, fügte ich einfach jeder Aussage hinzu: Es kann freilich alles auch ganz anders sein. Mein Zweifel ist derart pauschal, dass ich nichts Einzelnes mehr anzweifeln muss.

[25. August 2013]