104 – FIRWITZ – Dämon, Genius oder Geist? (Fragment)

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 104. Teilabriss

Firwitz – Dämon, Genius oder Geist? (Fragment)

Für den Bruchteil einer Sekunde tat sich ein Spalt auf, gerade lang genug, um das Wort „Firwitz“, schnell und hoch gesprochen, hindurch zu pressen in mein Studierzimmer.

Nannte mir da ein Dämon, ein Genius, ein Geist seinen Namen? Ich sah das Wort in seiner Schreibweise „Firwitz“, die ich nicht kannte, und fühlte dabei eine körperliche Präsenz im Raum, aber nur für diesen ultrakurzen Moment.

Ganz gleich, ob das Wesen – das, ich wusste nicht: körperlich im Raum oder nur als Stimme in meinem Kopf (aber als eine akustisch hörbare, nicht als lautloser Gedanke) auftauchte – sich mit seinem Namen zu erkennen gab oder mir eine Botschaft, eine Handlungsanweisung, einen wohlmeinenden, mich beschützenden Rat übermitteln wollte: Ich wusste, dass ich sofort im Wörterbuch, im Grimm’schen, nach der Bedeutung zu suchen hatte. Ich wusste auch – als sei es ein subtil mitvermittelter Teil der Botschaft –, dass ich nicht unter „Firwitz“, sondern unter „Fürwitz“ nachzuschlagen hatte, als hätte die Stimme in einem Dialekt gesprochen, den ich mir automatisch ins Hochdeutsche, wenn auch in ein nicht mehr zeitgemäßes Hochdeutsch, übersetzte.

Der Dämon, Genius oder Geist sagte mir, was nötig sei, woran es mir fehle, aber zugleich auch, was ich in diesem Moment tat: fürwitzig in eine (noch) nicht für mich vorgesehene Welt eindringen. Er sagte mir, dass der Fürwitz mein Motor sein müsse, der mir Erfolg oder Zerstörung brächte, es lag zugleich eine Warnung und eine Aufmunterung zum beherzten Handeln in dem einen Wort.

Zum ersten Mal hatte er sich mir in einem Kinderbuch zu erkennen gegeben, in der Geschichte von der fürwitzigen Zaunwinde.

(hier abgebrochen, und später neu angesetzt:)

Bis vor nicht allzu langer Zeit hätte ich gesagt: Er ist ein Dämon. Aber womöglich handelt es sich bei ihm um einen Genius – wer könnte das entscheiden? Ob er dem Reich der reinen Geister angehört oder etwas schwerer dem Erdboden aufliegt; ob sein Wirkungskreis begrenzt ist wie bei den alten Hausgöttern und dem genius loci oder ob er uns aus einem Winkel des weiten Universums beobachtet und stets im rechten Moment zur Stelle ist, um uns auf den richtigen – oder einen falschen – Weg zu führen: Wer einmal das Wesen seine kaum menschenähnliche Stimme aus dem kleinen Körper hat pressen hören, mit Wörtern, die wir keiner bekannten Sprache zuordnen können und deren Botschaft wir trotzdem deutlicher vernehmen als alle klaren Wörter unseres Alltags, der wird die Frage „Dämon, Genius, Geist, Kobold?“ als Spitzfindigkeit abtun müssen. So erging es mir an einem späten Novembernachmittag in meiner Studierstube in Velbert-Langenberg.

[…]

(abermals abgebrochen)

 

[geschrieben im Sommer 2005 im Künstlerdorf Schöppingen]