Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ, 107. Teilabriss
LEBENSLÜGE?
Ich kenne – zumindest unter den mir möglichen Alternativen – nichts Deprimierenderes als den Schriftstellerberuf und habe es bisher erfolgreich geschafft, ihm zu entkommen. Die Qual am Text, das Sich-Durchsetzen auf einem Markt, der mich nicht gerufen hat, die öffentlichen Auftritte vor einem verständnislosen Publikum, auch wenn es höflich applaudiert. Vor allem aber die Arbeit, das Schreiben, das Neuschreiben, das Nochmalsneuschreiben, das Korrekturlesen, die Verbesserungen oder was ich für solche halte, die entsetzlichen Zweifel vor der Abgabe, und ist das Buch da, ist es für den Autor bereits veraltet, denn er ist beim nächsten oder übernächsten Thema und wird nun gezwungen, sich zu erinnern, was er einmal gedacht und geschrieben hat.
Ich erinnere mich an meine Erleichterung, als ich damals erfuhr, ich bekomme eine Stelle in Brasilien, eine solche, die mir für nichts anderes Zeit lassen wird. Schreiben für die nächsten fünf Jahre völlig unmöglich. Ein Aufschub. Ein weiterer Aufschub. Noch ein Aufschub. Freundinnen und Freunde, sogar die Kollegen bei meinem langjährigen Arbeitgeber legten mir nahe, Rente zu beantragen, damit ich endlich Zeit zum Schreiben fände. Sie rechneten mir vor, mein angespartes Geld, die Rente und die Mieteinnahmen müssten doch ausreichen, um die Altersarmut weit vor mir herzuschieben. Und wer weiß, wenn ich mit meinen Veröffentlichungen auch wirtschaftlich erfolgreich wäre, würde sie mich vielleicht niemals ereilen.
Aber es ist nicht die Angst vor der Altersarmut, die mich antrieb, einen neuen Job anzunehmen, einen mich erfüllenden, vereinnahmenden, der mir keine Zeit zum Schreiben lässt. Es ist mein Fluchtinstinkt. Und das Glück: Ich habe eine neue Ausrede gefunden.