118 – Produktion ohne Produkte

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ, 118. Teilabriss

 PRODUKTION OHNE PRODUKTE

Eine Produktion ohne Produkte. Es fehlt der Mensch, der meinen Schaffensprozess portioniert. Aber im Grunde fehlt er nicht. Wir brauchen nicht noch mehr Gegenstände. Bewusstsein statt Materie. Qualia.

Die Kunst von uns Außenseitern kennt keinen Anfang und kein Ende.

Wir verwenden kaum Zeit auf die Organisation von Arbeitsmaterial, nehmen, was da ist. Fehlt es an einer Leinwand, wird der Schrank bemalt; sind alle vier Seiten randvoll mit Zeichen, wird er umgekippt und die Oberseite bemalt. Dann die Unterseite.

Uns ist egal, wer das sehen soll; wir wissen von unsichtbaren Augen, die unser Tun verfolgen.

Alles hängt zusammen, ohne Hierarchien, ohne Filter, das Heilige neben Details aus dem Alltag.

Dem Kunstwerk fehlen die Ränder, nur der Gegenstand hört irgendwo auf. Vielmehr, sie fehlen nicht, die Ränder, sie machen deutlich, dass alles Zentrum ist.

Es gibt Zirkulation von Themen und Motiven, keinen Aufbau.

Gigantisch und minuziös, bedeutungsüberladen und banal, wer kann werten?

Es ist eine Produktion abseits der Märkte, auch wenn sich der Markt auf einen von uns stürzen sollte. Verkäuflichkeit war nicht der erste Gedanke des Künstlers.

Gibt es einen Galeristen, muss er uns das Werk unter den Händen wegreißen. Wir wissen nicht, wann ein Werk fertig ist, es ist nie fertig.

Produkte kennt der Markt, für den Künstler gibt es nur das Produzieren. Auswahl wäre willkürlich, vielleicht zerstörerisch.

Wir zeichnen uns in unsere Werke mit ein; Bilderraub wäre Seelenraub.

Wir Außenseiter-Künstler wissen fast immer, warum sich in einem Kunstwerk etwas (ein Motiv, ein Zeichen, eine Farbe, ein Gegenstand ….) an einer bestimmten Stelle befindet, können es meistens aber nicht verständlich erklären.

Außerhalb des Wettbewerbs ist das Schaffen ein Ritual. Es versucht Ausgleich herzustellen, während der Wettbewerb Ungleichheit schafft.

Der Außenseiter ist keine marginale Existenz. Er ist von zentraler Bedeutung für den Zusammenhalt der Welt. Während die, die man jetzt im Zentrum glaubt, die Welt auseinanderfallen lassen.

 

Erster Satz: Ich bin der wichtigste Mensch. Zweiter Satz: Wenn 7,6 Milliarden Menschen (der Zähler läuft mit) diese Aussage für sich ebenfalls in Anspruch nehmen – nichts dagegen. Sie alle haben Recht.

Wäre die Welt ein Filmfestival, liefe mein Film außerhalb des Wettbewerbs. Das hindert mich nicht, von meiner gigantischen Bedeutung auszugehen, und von meiner ratzekahlen Unbedeutsamkeit, was aufs selbe hinausläuft.

 

30. April: Für heute habe ich mir vorgenommen, Geld an das Finanzamt zurückzuzahlen. Das wird eine magische, eine rituelle, Handlung werden, die Ausgleich herstellt. Fünf Jahre lang hat das Amt misstrauisch beäugt, ob mit meiner Art des Wirtschaftens es meine Absicht kann, Gewinne zu erzielen, und ist nun zu dem Schluss gekommen: Es kann es nicht. Daher muss ich alle Steuererstattungen von fünf Jahren zurückzahlen. Das ist gerecht.

Dennoch erschüttert mich das Urteil in meiner Existenz. Nicht, dass ich nun beginnen würde zu sparen. Nein, auch auf der nächsten Reise werde ich leben wie der große Gatsby. Aber 5.900 Euro sind auch für mich nicht bedeutungslos. Die zahle ich nicht mal so nebenbei, ohne nachzudenken. Die Feststellung der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht betrifft meine Identität, ist geeignet, meiner Arbeit ein neues Konzept zu geben. Nicht das der Liebhaberei, wie die Behörde es sehen möchte. Sondern eine intensive Produktion abseits der Märkte. Für die fast sechstausend Euro, die ich zahle, möchte ich auch etwas zurückbekommen. Das ist nur gerecht. Ein neues Selbstverständnis, eine Revolution zumindest. Gründer einer Bewegung der Nicht-Marktkonformen. Ein Wirtschaften, das an Marcel Mauss‘ und Georges Batailles Arbeiten anknüpfen könnte, das aber eigentlich noch viel weiter gehen muss. Ein Aufstand der Verrückten, nicht kleckerweise hier und da mal ein Aktiönchen, ein die Sehgewohnheiten irritierender Film oder ein weiteres belächeltes Manifest. Nein, eine geballte Ladung Verrücktheit in die Welt, anders als der Unsinn, den wir kennen und der die Welt zerstört. Ein Wirtschaften vielmehr, das die Welt rettet. Die Selbstaufgabe.

Für eine gute Geschäftsbeziehung ist es elementar, dem anderen nichts verkaufen zu wollen, so wie es in einer Freundschaft selbstverständlich ist, den Freund um nichts zu bitten, oder wie es für das gute Betriebsklima wichtig ist, dem Kollegen keine Arbeit aufzubürden.

 

[aus dem Notizbuch Nr. 68]