Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 169. Teilabriss
Somnophilie, oder Der Liebreiz von Schlafenden
Exposé:
Somnophilie, die sexuelle Neigung, sich an schlafenden Personen zu delektieren, ist ein seit der Antike verbreitetes Phänomen, von dem gleichermaßen Männer und Frauen aktiv und passiv betroffen sind.
Der antike Dichter Apuleius beschreibt mit dem Märchen Amor und Psyche ein sich liebendes Paar, dem es verwehrt ist, sich zu sehen; lediglich als Schlafenden erkennt Psyche ihren Geliebten, Amor, und verliert ihn durch ihre Neugier.
Endymion, der ewig schlafende Jüngling, wird Nacht für Nacht von der Mondgöttin Selene aufgesucht, die dem Mythos nach fünfzig Kinder von ihm bekommen haben soll.
Die Museen der Welt sind voller Gemälde, auf denen schlafende weibliche oder männliche Akte zu sehen sind: Die von zwei Satyrn überraschte schlummernde Venus, der eingenickte Adonis, der Eremit und die von ihm betäubte Angelica aus Ariosts Orlando furioso, Gemälde vom selbstvergessen verharrenden Narziss, von der eingeduselten Diana und ihren dahindämmernden Nymphen und immer wieder der dauerschlafende Endymion. Aber auch namenlose Schlafende, nachdem die Aktmalerei keiner biblischen oder mythologischen Rechtfertigung mehr bedurfte.
Die Marquise von O… in der gleichnamigen Novelle Heinrich von Kleists wird während einer kurzen Ohnmacht geschwängert.
Der Roman „Die schlafenden Schönen“ des japanische Autors Yasunari Kawabata beschreibt ein Bordell, das älteren, für impotent gehaltenen Männern die Möglichkeit bietet, eine Nacht lang neben einem Mädchen zu liegen, das durch die Verabreichung eines Mittels in Tiefschlaf versetzt worden ist.
Und schließlich bietet das Internet eine unerschöpfliche Quelle, dem Phänomen in der heutigen Zeit nachzuspüren. In Foren wird Somnophilie kontrovers diskutiert, und natürlich ist die Pornoindustrie mit zweifelhaften Angeboten längst dabei.
In einem juristischen Exkurs wird das Thema unter strafrechtlichen Aspekten beleuchtet.
Die populärwissenschaftliche Veröffentlichung arbeitet die Somnophilie in ihrer historischen Dimension auf und weist auf die gegenwärtige Bedeutung des verbreiteten, in der öffentlichen Aufmerksamkeit aber noch wenig beachteten Phänomens hin. Es wendet sich an ein allgemein interessiertes Publikum, das Exkurse in die Kunst- und Literaturgeschichte ebenso zu schätzen weiß wie sexualwissenschaftliche Analyse. In seiner umfassenden Darstellung des Phänomens Somnophilie dürfte die geplante Publikation einzigartig sein.
Kapitelplan:
1) Amor ist somnophil, und die Psyche ebenso – Das Märchen von „Amor und Psyche“ in Apuleius’ Der goldene Esel
2) „Mein Mann kann so lieb sein, wenn er schläft“ – die Mondgöttin und der dauerschlafende Endymion
3) Der Eremit und die schlafende Angelika – eine Geschichte aus Ariosts Der rasende Roland
4) Schlafende in der Malerei
5) Befruchtung einer Ohnmächtigen – Die Marquise von O…
6) „Die schlafenden Schönen“ – ein Roman von Yasunari Kawabata
7) Von liebevoller Betrachtung bis zum Verabreichen von K.-o.-Tropfen – Somnophilie im Internet
8) Juristischer Exkurs: Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen
Notizen:
Die u.a. von Nicolas Poussin, Fragonard oder dem spätbarocken Maler Francesco Solimena ins Bild gesetzte Szene, in der Diana den schlafenden Endymion bewundert, stellt eine Modeerscheinung des 17. – 19. Jahrhunderts dar, hat sich aber weder in der Kunst- noch in der Literaturgeschichte durchgesetzt. Ursprünglich war es Selene, die sich in Endymion verliebte (und – je nach Quelle – mit ihm 50 Kinder hatte), eine Liaison, die später – kinderlos – aufgrund einer voreiligen Identifikation über Dianens Attribut der Mondsichel auf die Jagdgöttin übertragen wurde.