219 – Das dem Markt sich verweigernde Werk – Prolegomena zu einer Ästhetik des Unmöglichen

[teils handschriftlich (unleserlich); teils nur gedacht; dann im Notizbuch 68 neu angesetzt unter dem Titel:]

ABSEITS DER MÄRKTE

Dienstag, 23. April

Mit Buchhändlerinnen, Verlegerinnen und Verlegern, Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Malerinnen und Malern bin ich befreundet. Junge Filmschaffende zählen zu meinem guten Kollegenkreis. Allen wünsche ich von Herzen viel Erfolg und ein glückliches Leben. Dennoch nagt im Grunde meines Herzens eine Überzeugung, die, würde sie Praxis (keine Sorge, wird sie nicht!), meinen Freunden die Existenz streitig machte. Die Überzeugung, Kunst und Kultur dürfen kein Geschäft sein.

Beim Film wird die schädliche Wirkung des Kommerzes vielleicht am offensichtlichsten. Auch die Geschichte der populären Musik erzählt vom Druck der Produktionsfirmen auf die Musiker. Auf dem Buchmarkt gelten ähnliche Gesetze, wenngleich dieser Markt noch zu den weniger aggressiven zu gehören scheint. Der Kunstmarkt ist völlig irrational.

Van Gogh ist jemand, dem, so wie er sein Gewerbe betrieb, mein Sachbearbeiter beim Finanzamt jegliche Gewinnerzielungsabsicht abgesprochen hätte. Van Gogh, der, wäre ihm das Malen untersagt worden, wahrscheinlich einen Menschen getötet hätte – ich sah am Wochenende den biographischen Film von Julian Schnabel mit Willem Dafoe –: In den Augen der Geschäftswelt wäre sein malen reine Liebhaberei. Er selbst sowieso nicht, aber auch sein Bruder Theo, der Galerist, verkaufte zu Vincents Lebzeiten kaum ein Bild, und Vincent nahm beim Malen keine Rücksicht auf Verkäuflichkeit.

Schon seit langem spreche ich mich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, das den unbelehrbaren Triebtätern unter den Künstlern das Überleben ermöglichen würde. Aber ein Geschäft betreiben sollten sie mit ihrer Kunst nicht. Ebenso wenig die Händler.

Vor vielen Jahren schon hörte ich einen Verleger klagen, selbst wohlhabenden Kunden seien zwanzig Mark für ein Buch ein zu hoher Preis. Und derselbe Kunde hätte am Abend, und nicht nur an dem einen Abend, eine Flasche Wein für fünfzig Mark weggetrunken. Der Verleger argumentierte, an einem Buch aus seinem Verlag könne er mehrere Abende lang genussvoll lesen, und wenn er es ausgelesen habe, sei es immer noch mehr wert als eine leere Flasche, die zum Altglas kommt.

Er hat Recht, der Verleger, aber dennoch verhalte ich mich ähnlich wie sein Kunde. Musik lade ich lange schon kostenlos aus dem Internet herunter, Filme sehe ich mir auf YouTube an, Bücher bekomme ich oft auf den Buchmessen geschenkt. Außerdem spreche ich mich für freien Eintritt in Museen aus.

Sollen auch alle Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Texte kostenlos vortragen, Interpreten in den Opernhäusern ohne Gage auftreten? Auch ich sehe, dass der Markt künstlerische Spitzenleistungen zu Tage fördert, aber er beschränkt sich logischerweise auf verkäufliche Produkte. Das Gegenteil muss kein Dilettantismus sein, es kann auch Van Gogh sein, der durch seinen Bruder eine Art Grundeinkommen bezog. Und die radikalen, die inkommensurablen, die unendlichen Werke, die zu keinem Schluss kommen, entstehen ohnehin abseits jedes Gedankens an Verwertbarkeit.