223 – E-Mail an David Freudenthal vom 03.04.2013

Wolfgang Cziesla: DER FIRWITZ – 223. Teilabriss

Antwort-Mail1

Lieber Herr Freudenthal,

vielen Dank für Ihre Mail und für den Zwischenstand zu Ihrem Schaffen. Auf den angekündigten Roman bin ich schon sehr gespannt.

Trotzdem ist mir ein bisschen unwohl dabei, wenn Sie den Leiter der CCA [Casa de Cultura Alemã] Detlef Firwitz nennen, auch wenn der Nachname vielleicht als erlebnisverwandter Hinweis, als versteckte Widmung gar, zu verstehen sein sollte.

Es steht Ihnen selbstverständlich frei, Ihre Romanfiguren nach eigenem Ermessen zu benennen. Aber nun muss ich Ihnen etwas anvertrauen, was Ihre Namensgebung vielleicht beeinflussen könnte.

Aus Vorsicht vor dem Spott der bösen Welt bin ich mit meinen ernsteren Gedanken und Schreibplänen bisher kaum an die Öffentlichkeit getreten, denn die Phantasien über meine Zukunft sind viel größenwahnsinniger, als es mit den bisherigen veröffentlichten Prosaarbeiten zu rechtfertigen wäre.

„Nachts den Firwitz konzipiert“, lautet ein Tagebucheintrag vom 1.12.1977. „Ein Abriss in 256 Teilabrissen“ stand schon von Anfang an unverändert als Untertitel fest. Dem neun Jahre später im Steidl-Verlag veröffentlichten Büchlein „Visitatio“ ist vor dem Textbeginn die Zeile vorangestellt: „64. Teilabriss des Firwitz“.

Nicht alle Verleger und Redakteure waren bereit, vor meine Texte den Hinweis auf ihren Platz im Gesamtwerk abzudrucken, aber zum Beispiel in der Anthologie „Mein heimliches Auge“ im Tübinger konkursbuch-Verlag (Jahrbuch der Erotik XXVI) tauchen im Jahr 2011 der 248. und der 249. Teilabriss auf – ohne dass die Verlegerin wusste: Teilabriss wovon?

Seit dem ersten Konzept von 1977 stellte es sich nach und nach heraus, dass es nicht nur Texte sein würden, die ich als Teilabrisse in das Lebenswerk, den „Firwitz“, einbeziehe. Auch Gegenstände sollen gemeinsam mit den kürzeren und längeren Texten eine Art Gesamtkunstwerk formen, das in ideeller Nähe zur Konzeptkunst ins Leben, in die sogenannte Realität, hineinreicht.

So verstehe ich unter anderem die Gründung des Firwitz Verlags als einen weiteren „Teilabriss“ des Lebenswerks, dessen materielle Dokumentation möglicherweise in Form des Handelsregistereintrags oder des ersten Verlagsprogramms in das „Werk“ eingehen könnte. (Nebenher bin ich dabei, die – recht lustige – Geschichte der Verlagsgründung unter dem Arbeitstitel „Der Verlag mit dem Makel“ zu Papier zu bringen.)

Für die Buchmesse 2016 in Frankfurt plane ich das große Coming-out des „Firwitz“ als Lebens- und Gesamtkunstwerk. Freilich kann es passieren, dass das von niemandem beachtet wird. Dann wäre es egal, wie der Leiter des Deutschen Kulturhauses in Ihrem Roman heißt. Sollte der „Firwitz“ aber durch meine Aktion auch öffentlich als das erkennbar werden, was er in meinem Leben darstellt, dann könnte der Name Ihrer Romanfigur zu Deutungen Anlass geben, die sich im Moment noch nicht absehen lassen. Daher wäre mein Wunsch: Geben Sie dem Leiter der CCA bitte einen anderen Familiennamen.

Sie sehen: So viel Leichtigkeit ist da gar nicht in meinem Schreiben.

Dagegen wirken meine phonetischen Bedenken fast schon nebensächlich: Das auslautende „f“ in Detlef und das anlautende „F“ in Firwitz könnten sich beim lauten Vorlesen vor Publikum phonetisch nicht deutlich genügend trennen lassen, sodass bei jemandem, der den Namen nicht optisch vor sich hat, der Eindruck entstehen könnte, der Mann hieße Detlef Irrwitz.

Ich wünsche Ihnen, dass der Roman gut gelingt. Ja, das Material zu organisieren ist im Unterschied zum freien Fließenlassen der Gedanken das Quälende am Roman- und wissenschaftlichen Schreiben.

Das Restaurant (und auch Hotel), in dem ich oft gut gegessen und manchmal übernachtet habe, war das „La France“ an der Praia de Caponga.

Ich freue mich bereits auf eine weitere, hoffentlich gute, Nachricht von Ihnen und wünsche Ihnen für die Veröffentlichung viel Erfolg.

Mit den besten Grüßen

Wolfgang Cziesla

[1 Diese E-Mail, abgesandt am 03.04.2013 um 12:07 Uhr – ein erster Entwurf befindet sich in meinem Notizbuch mit Eintrag vom 19.03.2013 –, antwortet auf eine E-Mail von David Freudenthal vom 18.03.2013, 14:49 Uhr. David Freudenthal war als DAAD-Lektor der Nachfolger meiner Nachfolgerin an der Casa de Cultura Alemã (CCA) in Fortaleza, Ceará, Brasilien. Er hat meinen Brasilienroman „Die Austauschstudentin“ (2004) gelesen und den Kontakt zu mir aufgenommen, da er ebenfalls an einem Roman arbeitete, der die CCA als Handlungsschauplatz einbezieht. Die Mail von David Freudenthal, deren Inhalt sich aus meinen Antworten erschließt, muss hier nicht im Wortlaut wiedergegeben werden.]